Wie kein anderer Film verändert Schindler’s List Steven Spielberg nicht nur als Regisseur, sondern auch als Person. Zum ersten Mal setzt sich Spielberg in einem Film direkt mit seiner jüdischen Identität und mit dem Holocaust auseinander. Was er in den von Antisemitismus geprägten Vororten seiner Kindheit (und auch danach) stets fürchtete, ist für ihn nun eine Selbstverständlichkeit: Er bekennt sich mit Nachdruck zum jüdischen Glauben.
Entstehung
In der Romanvorlage Schindler’s Ark schildert Thomas Keneally den Überlebenskampf mehrerer jüdischer Familien zwischen 1939 und 1945, die der Sudetendeutsche Oskar Schindler vor der Ermordung im Konzentrationslager bewahrt, indem er sie für die „kriegsentscheidende Produktion“ in seiner Krakauer Fabrik arbeiten lässt. Das Buch entsteht auf Basis von Interviews mit 50 der 1200 so genannten „Schindlerjuden“.
Einer von ihnen ist Leopold „Poldek“ Pfefferberg. Nach Kriegsende macht er es sich zur Lebensaufgabe, Schindler für seine Taten zu danken, indem er sie der Nachwelt überliefert. Bereits 1963 initiiert er eine Verfilmung, aber das Projekt scheitert. 1980 begegnet er Thomas Keneally und weckt sein Interesse, ein Buch über Schindler zu schreiben. Spielberg holt Pfefferberg später als Berater zu den Dreharbeiten.
Als der Roman 1982 erscheint, erwirbt Universal-Studiochef Sid Sheinberg die Filmrechte und will Steven Spielberg als Regisseur verpflichten. Doch der zögert lange und will das Projekt an Kollegen wie Martin Scorsese, Roman Polanski und Billy Wilder weitergeben, bevor er – von Billy Wilder ermutigt – die Regie schließlich doch selbst in die Hand nimmt. “I didn’t go to work on it right away because I didn’t know how to do it. The story didn’t have the same shape as the films I have made. […] I needed time to mature within myself and develop my own consciousness about the Holocaust.”
Auslöser für Spielbergs Entscheidung, den Film zu machen, ist die wachsende Präsenz von Holocaust-Leugnern in den Medien und das Erstarken der Neonazi-Bewegung nach dem Fall der Mauer. Spielberg verzichtet auf seine Gage als Regisseur und jegliche Gewinnbeteiligung.
Drehbuchautor Steven Zaillian legt den Fokus auf Oskar Schindler (Liam Neeson) und kombiniert mehrere Personen zur Figur von Schindlers Buchhalter Itzak Stern (Ben Kingsley). Daraufhin integriert Spielberg mehr Geschichten der Schindlerjuden, die ihm zugetragen werden. “I wanted the story to be less vertical – less a story of just Oskar Schindler, and more of a horizontal approach, taking in the Holocaust as the raison d’être of the whole project. What I really wanted to see was the relationship between Oskar Schindler – the German point of view – and Itzhak Stern – the Jewish point of view. And I wanted to invoke more of the actual stories of the victims […].”
Spielberg vermeidet simple Erklärungsmuster für die Motivation Schindlers, den Juden zu helfen und dabei seine Existenz und sein Leben aufs Spiel zu setzen. Er porträtiert Schindler in einer ambivalenten Faust-Mephisto-ähnlichen Konstellation: hin- und hergerissen zwischen dem Leben in Saus und Graus, vertreten durch den bestialischen Lagerkommandanten Amon Göth (Ralph Fiennes), und seinem menschlichen Gewissen, vertreten durch Itzak Stern. Sein Buchhalter hilft ihm schließlich dabei, die titelgebende Liste der Personen aufzustellen, die Schindler in seine Fabrik aufnimmt. Spielberg sorgt dafür, dass Itzhak Stern die folgenden Sätze spricht, die in Zaillians Drehbuch noch fehlen: “This list… is an absolute good. The list is life. All around its cramped margins lies the gulf.“ Ein Originalzitat aus dem Roman.
Zum ersten Mal arbeitet Spielberg mit dem in Polen geborenen Kameramann Janusz Kamiński zusammen (seither ununterbrochen in allen Spielberg-Filmen). Gemeinsam mit ihm entwickelt Spielberg eine Filmsprache, die nur noch wenig mit den Erzähltechniken seiner bisherigen Filme zu tun hat und einem dokumentarischen Anspruch folgt. Um die Authentizität der Ereignisse zu unterstreichen, werden große Teile des Films mit der Handkamera aufgenommen. Dazu Spielberg: “I feel like more of a journalist than a director of this movie. I feel like I’m reporting more than creating. […] I’m sort of interpreting history, trying to find a way of communicating that history to people, but I’m not really using the strengths that I usually use to entertain people.” „The authenticity of the story was too important to fall back on the commercial techniques that had gotten me a certain reputation in the area of craft and polish.“
Spielberg besteht darauf, den Film in Schwarz-Weiß zu drehen und lehnt Vorstöße des Studios kategorisch ab, den Film auf Farbnegativ zu drehen (um eine spätere Auswertung als Farbfilm zu ermöglichen). “The Holocaust was life without light. For me the symbol of life is color. That’s why a film about the Holocaust has to be black-and-white.“ Vor dem schwarz-weißen Hintergrund der brutalen Ghetto-Räumung kann Spielberg seine Idee mit dem Mädchen im roten Mantel wirkungsvoll umsetzen: Sie steht in diesem Moment für das Leben, doch kurz darauf erblickt Schindler (und der Zuschauer) das Mädchen auf einem Stapel Leichen. Das Mädchen ist eine Chiffre, stellvertretend für die ungefähr 6 Millionen ermordeten Juden.
Anders als bei Jurassic Park, den er erst vor drei Monaten abgedreht hat, verfilmt Spielberg Schindler’s List spontan, ohne Storyboards, wie im Fieber, mit einem Ergebnis von bis zu 40 Einstellungen am Tag (die Dreharbeiten enden vier Tage früher als geplant). Einige Ideen entstehen erst wenige Stunden vor dem Dreh oder direkt am Set. Noch während der Dreharbeiten konzipiert Spielberg einen Epilog, in der wir die echten Überlebenden gemeinsam mit den Darstellern sehen. Damit schlägt Spielberg eine Brücke zwischen Geschichte und Gegenwart, Abbildung und Realität.
Vor den Abspann des Films setzt Spielberg eine Widmung: „For Steve Ross.“ Der Philantrop und CEO von Warner Communications, Steve Ross, inspiriert Spielberg bei der Entwicklung des Filmcharakters Oskar Schindler: “Steve Ross gave me more insights into Schindler than anybody I’ve ever known. […] Before I shot the movie, I sent Liam all my home movies of Steve. I said, „Study his walk, study his manner, get to know him real well, because that’s who this guy is“. Ross steht Spielberg als Mentor zur Seite und trägt wie Itzhak Stern dazu bei, dass aus einem unpolitischen Showman ein Mensch wird, der sich für eine bessere Welt einsetzt.
Physisch und emotional geht Spielberg während des 72-tägigen Drehs bis an den Rand seiner Kräfte. Kate Capshaw und seine Kinder bewohnen ein Haus in der Nähe des Filmsets in Polen und sind in dieser Zeit sein Halt. Robin Williams ruft Spielberg regelmäßig an, um ihn aufzuheitern.
Für die Filmmusik zu Schindler’s List holt John Williams den berühmtenViolinisten Itzhak Perlman dazu (mit ihm hatte er bereits bei der Filmadaption des Musicals Fiddler on the Roof aus dem Jahr 1971 zusammengearbeitet). Williams komponiert für Schindler’s List einen tieftraurigen Score, der bis heute zu seinen Lieblingsarbeiten zählt. Williams erinnert sich an den Moment, als ihm Spielberg zum ersten Mal den Film zeigte: „When he showed me Schindler’s List, I was so moved I could barely speak. I remember saying to him, ‚Steven, you need a better composer than I am to do this film.‘ And he said, ‚I know, but they’re all dead.‘ „
Rezeption
Als der Film in die Kinos kommt, reagieren die Kritiker nahezu einhellig begeistert. Negativ äußern sich die Filmemacher Jean-Luc Godard, Claude Lanzmann und Michael Haneke, die Spielberg den Einsatz von Hollywood-Mitteln zur Abbildung der Shoah vorwerfen.
Bei den Academy Awards erhält Schindler’s List 12 Nominierungen und wird ausgezeichnet in den Kategorien Best Picture, Best Director, Best Adapted Screenplay, Best Original Score, Best Film Editing, Best Cinematography und Best Art Direction. Es ist der erste Regie-Oscar für Steven Spielberg. Die Darsteller Liam Neeson und Ralph Fiennes werden nominiert, gehen aber leer aus.
Niemand rechnet mit der enormen Zuschauer-Resonanz auf den mehr als dreistündigen Schwarz-Weiß-Film. Bei Produktionskosten von 22 Millionen Dollar erzielt Schindler’s List ein Kino-Einspielergebnis von weltweit mehr als 320 Millionen Dollar. Sämtliche Einnahmen fließen in die von Spielberg gegründete Shoah Foundation.
Zum 25. Jubiläum des Films wird Schindler’s List am 27. Januar 2019 (Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust) auch in Deutschland in einigen Theatern wiederaufgeführt. Darunter ist ein Kino in Hachenburg, das Mitgliedern der rechtspopulistischen Partei AfD freien Eintritt gewährt und damit eine Diskussion über die Position der Partei zum Holocaust auslöst.
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Den kreativen Prozess bei der Entstehung des Drehbuchs sowie des Films beleuchten wir in unserem Buch Steven Spielberg – Tiefenscharfe Analysen.