Steven Spielbergs Minority Report zählt zu den bedeutendsten Filmadaptionen einer von Philip K. Dick verfassten Geschichte. Spielberg erweitert Philip K. Dicks Kurzgeschichte The Minority Report zu einem abendfüllenden Kinofilm (mit Überlänge: 145 Minuten). Seine größte Herausforderung besteht jedoch darin, die im Jahre 1956 veröffentlichte Geschichte in einen aktuellen Kontext zu überführen, mit der sowohl Kenner der Kurzgeschichte, als auch das heutige Durchschnittspublikum etwas anfangen können.
Die dystopische Story ist in Washington DC angesiedelt und beschäftigt sich mit den Folgen eines Strafverfolgungs-Systems namens „Precrime“, welches von den Behörden dazu autorisiert ist, Menschen für Morde zu verhaften und einzusperren, noch bevor sie begangen werden. Darüber entscheiden drei so genannte „Precogs“, die künftige Morde aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten voraussagen können. Die Einsatzteams werden von John Anderton (Tom Cruise) geleitet, sein Vorgesetzter ist Precrime-Chef Lamar Burgess (Max von Sydow).
Nebendarsteller sind u.a. Colin Farrell, Samantha Morton, Peter Stormare, Lois Smith, Tim Blake Nelson und Jessica Capshaw.
Versteckt in einer faszinierenden Mischung aus Film noir, Science Fiction, Thriller und Krimi verkleidet, teilt Spielberg seine kritische Sicht auf die aktuelle US-Politik, insbesondere die Aktivitäten der Bush-Regierung in Bezug auf „Homeland Security“ und das Gefangenenlager Guantanamo Bay.
Der Film stellt die Frage, ob ein freier Wille weiter existieren kann, wenn die Zukunft im Voraus „bekannt“ ist. Er untersucht zudem die Wirkung der Medien und der Werbung, wenn sie durch technologische Fortschritte allgegenwärtig werden (heute bereits teilweise umgesetzt). In Spielbergs Worten:
Spielbergs Lieblingsthemen wie Massenmedien-gesteuerte Paranoia („Everybody runs“) und dysfunktionale Familien sind ebenfalls im Film enthalten.
Entstehung
Bevor Spielberg einsteigt, befindet sich das Projekt viele Jahre lang in „Turnaround“. Ursprünglich plant Ronald Shusett, Co-Autor von Alien (1979), Philip K. Dicks Kurzgeschichte für eine Fortsetzung von Total Recall (1990) aufzubereiten. In dieser Version hat die Erdbevölkerung auf den Mars umgesiedelt. Aufgrund der schlechten Sauerstoffversorgung in den Bergarbeiterkolonien, mutieren einige Siedler in die Precogs aus Philip K. Dicks Story. Jan de Bont ist zu diesem Zeitpunkt als Regisseur vorgesehen, doch das Projekt wird schließlich abgebrochen, so dass Drehbuchautor Jon Cohen alle Total Recall-Elemente wieder entfernt. Er verlegt seinen Entwurf in eine Retro-Zukunft, in einen Stadtteil, der den 1950er Jahren entsprungen zu sein scheint.
Diese Version weckt die Aufmerksamkeit von Tom Cruise, und zwar während der Dreharbeiten zu Stanley Kubricks Eyes Wide Shut (1999). Seit seiner ersten Begegnung mit Spielberg am Set von Risky Business (1983) setzt Cruise alles daran, einmal in einem Spielberg-Film mitzuwirken. Als Spielberg jedoch aus Termingründen beim Film Rain Man (1988) aussteigen muss, zieht sich die Wartezeit noch länger hin. Schließlich gibt Spielberg „grünes Licht“ für Minority Report, nachdem Cruise ihm den Script-Entwurf zugespielt hat. Allerdings muss Cruise zuvor noch Mission Impossible 2 (2000) beenden, und Spielberg führt Regie bei A.I. – Artificial Intelligence (2001), so dass zwei weitere Jahre vergehen.
Als Spielberg an Bord kommt, plant er zunächst eine ganz andere Besetzung der Nebenrollen: Matt Damon soll John Andertons Widersacher Danny Witwer spielen, Meryl Streep ist für den Part von Iris Hineman vorgesehen, Ian McKellen soll Precrime-Chef Lamar Burgess spielen, und Cate Blanchett soll Agatha, eine der Precogs verkörpern. Meryl Streep lehnt die Rolle ab, Matt Damon steigt aus, und die anderen Rollen werden wegen des verschobenen Drehstarts neu besetzt.
Spielberg macht das Beste aus den Verzögerungen und beauftragt Scott Frank mit der Überarbeitung des Drehbuchentwurfs. Frank verwirft die meisten Ideen aus Cohens Fassung, aber er übernimmt die Idee für die Sequenz in der Autofabrik, die auf einem unverfilmten Konzept von Alfred Hitchcocks North by Northwest (1959) beruht – damals wäre die Umsetzung zu kostspielig gewesen. Für Minority Report wird die Sequenz in einer echten Kfz-Produktionsanlage mit einem Schweißroboter und physischen Special-Effects verfilmt.
In der Vorbereitungsphase lädt Spielberg 15 Experten aus verschiedenen Disziplinen zu einem dreitägigen „Think-Tank“ ein, um von ihnen zu erfahren, wie das tägliche Leben im Jahr 2054 aussehen könnte. Produktionsdesigner Alex McDowell – der schon für David Finchers Fight Club (1999) arbeitete – protokolliert die Ideen in einer „2054 Bibel“, einem 80-seitigen Leitfaden zu allen Aspekten der zukünftigen Welt, z.B. Architektur, Sozio-Ökonomie, Politik und Technik. Einige der im Film gezeigten Technologien finden einige Jahre später tatsächlich ihren Weg in den Alltag (z.B. Multi-Touch-Schnittstellen, Netzhaut-Scanner, Tablets mit elektronischen Zeitungen und 1-to-1 Marketing).
Für Minority Report entwickelt Kameramann Janusz Kamiński einen außergewöhnlichen visuellen Stil, indem er High-Speed-Film einsetzt und zwischen Handheld und Steadicam-Aufnahmen wechselt. Mittels hohem Kontrast erzeugt er dunkle Farben und Schatten (wie im Film noir) sowie überbelichtete Aufnahmen mit verblassenden Farben, die durch einen Bleichungsprozess in der Post-Production entstehen.
Die 14-minütige Eröffnungssequenz des Films mit der verzerrten Precog-Vision eines bevorstehenden Mordes ist die bis heute komplexeste Intro in Spielbergs Gesamtwerk und markiert einen Höhepunkt in Michael Kahns Arbeit als Editor.
Minority Report ist der erste Film, der auf Basis eines vollständig digitalen Produktionsdesigns entsteht. „Previz“ (ein Begriff, der auf die Story des Films anspielt) ermöglicht der Crew den Einsatz von Photoshop und 3-D-Animationsprogrammen, um ein simuliertes Set mit virtuellen Akteuren zu erstellen. So kann Spielberg im Voraus Bildausschnitte und Kamerafahrten planen. Industrial Light & Magic liefert die meisten der atemberaubenden visuellen Effekte, während die Dreamworks-Effektschmiede PDI für die Umsetzung der Spyder-Roboter zuständig ist.
John Williams komponiert einen packenden „Black and White Score“, der von Bernard Herrmanns Werk inspiriert ist, und untermalt die Anne Lively-Szenen mit einer Sängerin im Film noir-Stil. Franz Schuberts Symphonie Nr. 8, h-Moll („Die Unvollendete“) ist zu hören, als Anderton seine Precrime-Untersuchung am Bildschirm „dirigiert“, weil ihn das Script als Fan klassischer Musik beschreibt. Diese aufwendig choreografierten Szenen zählen zu den einprägsamsten Bildern aus Spielbergs Film.
Rezeption
Minority Report ist einer der von der Kritik am besten bewerteten Filme des Jahres 2002. Gelobt wird er vor allem für die innovative Optik und seine Themen. Vielfach bemängelt wird das „Happy End“, das als inkonsistent zum Rest des Films bewertet wird (von Kritikern, die Spielbergs Absicht nicht erkennen, den Film mit einem “ falschen Ende“ zu versehen, das nur in der Fantasie des Protagonisten existiert; ein Kniff, der das Thema des Films unterstreicht: „Realität vs. Wahrnehmung“).
Roger Ebert nennt den Film ein „Meisterwerk“ und stellt fest, dass die meisten Regisseure ihre Energie in Tricktechniken setzen, während Spielberg Handlung und Charaktere in den Vordergrund stellt und Technologie nur wie ein Fachmann einsetzt, der seine Werkzeuge beherrscht.
Der Film entsteht als Co-Produktion von Amblin Entertainment und Cruise / Wagner Productions, den Verleih übernimmt 20th Century Fox (in Nordamerika) bzw. Dreamworks SKG (international). Minority Report entpuppt sich als ein großer kommerzieller Erfolg und nimmt weltweit mehr als 358 Mio. Dollar ein – bei einem Gesamtbudget von 142 Mio. Dollar (einschließlich Marketing-Kosten).
Minority Report erhält eine Oscar-Nominierung für Best Sound Editing, wird aber ansonsten von der Akademie ignoriert.
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Den kreativen Prozess bei der Entstehung des Drehbuchs und das vielfach missverstandene Ende des Films beleuchten wir in unserem Buch Steven Spielberg – Tiefenscharfe Analysen.