2001: A.I. Artificial Intelligence (A.I. – Künstliche Intelligenz, R: Steven Spielberg)

Steven Spielbergs A.I. Artificial Intelligence basiert auf der 1969 entstandenen Kurzgeschichte Super Toys Last All Summer Long von Brian Aldiss. Der visionäre Film erzählt die Geschichte von David, einem kindlichen Androiden mit der programmierten Fähigkeit, seine Adoptivmutter zu lieben und dem ewig währenden Wunsch, ein „richtiger Junge“ zu werden. Durch Stanley Kubricks langjährige Pionierarbeit und Spielbergs Regie verbindet dieses „Future Fairytale“ die Stile und Themen zweier – sehr verschiedener – Titanen des Kinos.

Haley Joel Osment ist Spielbergs erste und einzige Wahl für Davids Part und liefert eine erstaunliche Performance: Um den „Mecha“-Jungen absolut realistisch zu porträtieren, trainiert er sich zum Beispiel an, in all seinen Szenen nicht mit den Augen zu blinzeln – außer am Ende des Films. Jude Law spielt den „Mecha“ Gigolo Joe, ebenfalls programmiert auf die Fähigkeit, Liebe zu imitieren, aber für einen anderen Zweck, nämlich die Prostitution. Um sich auf die Rolle vorzubereiten, studiert er die Darstellung von Fred Astaire und Gene Kelly. Zur A.I.-Besetzung gehören auch Frances O’Connor, Brendan Gleeson und William Hurt.

Künstliches Charaktere werden von Jack Angel, Ben Kingley, Robin Williams, Meryl Streep und Chris Rock gesprochen. Übrigens spielte zwei Jahre zuvor auch Robin Williams einen Androiden, der ein richtiger Mensch werden will, und zwar in Bicentennial Man (1999). In A.I. leiht Williams seine Stimme einem Hologramm namens Dr. Know (Spielbergs Anspielung auf die James Bond-Reihe), ein Informationssystem, das eine Schnittstelle für natürliche Sprache anbietet, um Fragen zu beantworten – von den Filmemachern lange vor der Einführung von Apples Siri erdacht.

Entstehung

Die Ursprünge von A.I. gehen zurück in die frühen 70er Jahre. Stanley Kubrick engagiert eine Reihe von Autoren, u.a. Brian Aldiss, Bob Shaw, Ian Watson, Arthur C. Clarke und Sara Maitland. Kubrick gibt Ian Watson den Roman The Adventures of Pinocchio (1883) von Carlo Collodi zur Inspiration und nennt A.I. “a picaresque robot version of Pinocchio„. William Butler Yeats’ berühmtes Gedicht The Stolen Child hat ebenfalls einen starken Einfluss auf die Geschichte und wird in entscheidenden Szenen zitiert.

Als Kubrick 1982 den Film E. T. – The Extraterrestrial sieht, ist er tief beeindruckt von der Art und Weise, wie es Spielberg gelingt, mit einem vollkommen künstlichen Charakter die Herzen der Menschen auf der ganzen Welt zu gewinnen. Kubrick wird bewusst, dass auch David die Sympathien der Zuschauer erreichen muss, anderenfalls wird die zentrale Frage von A.I. niemanden berühren: Wenn Roboter fühlen können, was unterscheidet sie vom Menschen?

Kubrick ist von der Idee besessen, die Figur des David mit Robotertechnik und visuellen Effekten künstlich zu erschaffen, weil er (angesichts seiner üblicherweise langen Produktionszeiträume) vermeiden will, dass ein Kinderdarsteller während des Drehs erwachsen wird. Nach zehn Jahren vergeblicher Experimente verbleibt der Film in „Development Hell“.

Kubrick erkennt, dass er in seinem Leben nicht in der Lage sein wird, einen überzeugenden Roboter-Darsteller zu erschaffen. Darüber hinaus nagt an ihm der Verdacht, Spielberg sei der bessere Regisseur für eines der zentralen Themen von A.I.: ein Kind in einer dysfunktionalen Familie. Spielberg hat (wiederholt) seine Fähigkeit demonstriert, seine Kinderdarsteller so zu lenken, dass sie den ganzen Film tragen. Zudem ist ihm die Fertigstellung selbst technisch komplexer Filme in kürzester Zeit gelungen (tatsächlich beendet Spielberg die Dreharbeiten von A.I. in nur 67 Tagen).

In der Zwischenzeit werden Spielberg und Kubrick (der seit den frühen 60er Jahren in England lebt) zu „Ferngespräch“-Freunden, ihre regelmäßigen Telefonate dauern Stunden. Kubrick lässt sogar eine sichere Faxleitung in Spielbergs Haus installieren, damit er sich auch nachts mit ihm zu neuen Ideen austauschen kann (woraufhin Mrs. Spielberg schließlich ihr Veto einlegt).

Nachdem Kubrick Jurassic Park (1993) gesehen hat, ist für ihn die Zeit gekommen, die visuellen Effekte von A.I. anzugehen und lässt ILMs Dennis Muren einige Previz-Studien erstellen. Dann lädt Kubrick Spielberg auf sein Anwesen ein: Childwickbury Manor in Hertfordshire. Nicht ohne Stolz und unter Androhung des „Ausschlusses aus seinem Leben“ (sollte Spielberg sein Vertrauen missbrauchen), öffnet er seine „Schatzkammer“ aus Zeichnungen und diversen Drehbuchfassungen und bietet Spielberg an, die Regie zu übernehmen, unter Kubrick als Produzent.

Es schmeichelt Spielberg durchaus, dass Kubrick eines seiner Herzens-Projekte an ihn übergeben will. Doch er lehnt freundlich ab – eine solche Konstellation würde vermutlich Konflikte mit sich bringen. Spielberg bevorzugt die Arbeit in „Eigenregie“ und fühlt sich unwohl bei der Vorstellung, einen so künstlerisch ambitionierten Filmemacher, noch dazu als Produzent, vor und während der Dreharbeiten im Rücken zu haben. Nach diesem Rückschlag für A.I. widmen sich die beiden anderen Stoffen.

Das Projekt verbleibt bis zu Kubricks Tod im Jahr 1999 „im Kälteschlaf“. Schließlich wird Spielberg von Kubricks Witwe Christiane Kubrick und Co-Produzent Jan Harlan gebeten, die Regie zu übernehmen. Als Spielberg diesmal zustimmt, engagiert er sogleich den Illustrator Chris Baker, der in den Jahren zuvor Kubricks Ideen zu A.I. in brilliante Skizzen übertragen hatte. Baker fungiert als eine Art künstlerischer „Vermittler“ zwischen Spielberg und dem verstorbenen Kubrick.

Zum ersten Mal seit Poltergeist (1982) schreibt Spielberg das Drehbuch selbst und bleibt Kubricks Filmtreatment und Vision des Films weitestgehend treu. In der von Kubrick bevorzugten Weise teilt Spielberg die Geschichte in drei Akte: Ankunft, Flucht und Wiederentdeckung. Die Intro (Meereswellen, Cybertronics Gebäude, Cryogenics Hospital, Prof. Hobbys Büro) wird von Spielberg hinzugefügt, während er andere Sequenzen wie z.B. den Schrottplatz für Roboter und die “Flesh Fair“ basierend auf Ian Watsons Entwurf ausarbeitet.

Um übergreifende Themen und dramatische Entwicklungen zu betonen, wendet Spielberg mehrfach Kubricks „Mode Jerk“ an (heftige Sprünge in Zeit und Raum, kontrastierende Farbstimmungen, und abrupte Veränderungen von Emotionen). Während der Produktion baut Spielberg weitere typische Kubrick-Elemente ein, u.a. Kamerafahrten entlang von parallelen Wänden, Zentralperspektive, Kreisformen, die (Davids) obsessive Handlungen kennzeichnen sowie den „Kubrick Stare“ (Davids nach unten geneigter Kopf mit den Augen steil nach oben gerichtet).

Stan Winston erschafft einige Dutzend einzigartige „Mecha“-Charaktere und nennt später A.I. das ehrgeizigste Filmprojekt seines Lebens.

In einer besonders berührenden Szene „prägt“ Monica Swinton den von ihr adoptierten David mit einem Code, der aus einer Abfolge von gesprochenen Begriffen besteht. Der Code versetzt David in die Lage, Monica bedingungslose Liebe entgegenzubringen. Die Begriffe entnimmt Spielberg Stanley Kubricks Originalliste. Kameramann Janusz Kamiński, der die schwierige Aufgabe meistert, die visuellen Stile Spielbergs und Kubricks zu vereinen, empfindet viel für diese Szene. Sie entsteht in einem von Hintergrundbeleuchtung durchfluteten Raum, einem Markenzeichen Spielbergs. „I love backlight not just for the sake of glamorizing [the subject], but because the direction of the light can represent storytelling,” sagt Kamiński. “I don’t do backlights and then also add key lights and all these things — if I do backlight, I want to see that backlight. That’s my style… “

A.I. entsteht nahezu ausschließlich im Studio (Warner Brothers-Studios und Spruce Goose Dome in Long Beach, LA). Der Film bahnt den Weg für das virtuelle Studio, eine Technik, die Spielberg erlaubt, sich durch eine virtuelle Version von Rouge City zu bewegen und vorab geeignete Kamerapositionen zu wählen. Diese Technik wird später in Peter Jacksons The Lord of the Rings (2001) perfektioniert. Ein Gebäude in Rouge City, das aussieht wie ein Penis, wird nachträglich digital wegretuschiert, um dem Film die PG-13 Wertung zu sichern.

Der dritte Akt, in dem 2000 Jahre vergangen sind, und die Menschheit nicht mehr existiert, beginnt mit einem der optischen Highlights des Films (entstanden unter der Leitung von Dennis Muren): Manhattan ist bedeckt von Gletschereis. “SuperMechas“, Davids Nachfahren, haben auf der Suche nach ihm riesige Gräben ins Eis gefräst – ähnlich den (menschlichen) Astronauten in Kubricks 2001 (1968), die auf dem Mond den geheimnisvollen Monolith ausgraben. In einer atemberaubenden Kamerafahrt, die an das Abtauchen in den Schacht des Todessterns am Ende von Star Wars – A New Hope (1977) erinnert, folgen wir dem Flugobjekt der SuperMechas zur Ausgrabungsstätte und erleben Davids Wiedererweckung. Die Form der CGI-generierten SuperMechas ähnelt den Aliens aus Close Encounters of the Third Kind (1977), so dass einige Kritiker und Teile des Publikums „verloren“ gehen – sie verwechseln die SuperMechas mit Außerirdischen.

John Williams komponiert für A.I. einen großartigen Score und integriert Kubrick-typische Elemente wie atonale und klassische Musik. Richard Strauss’ Der Rosenkavalier wird auf Anweisung von Kubrick verwendet. Für die Schluss-Sequenz des Films schreibt Williams ein Klavierkonzert, das die Länge der Sequenz überschreitet. Spielberg findet so sehr Gefallen an der Musik, dass er seinen Filmeditor Michael Kahn bittet, die Sequenz neu zu schneiden, so dass die letzten 7 Minuten zur Musik passen, anstatt wie üblich umgekehrt – eine Technik, die Spielberg bereits in den letzten 15 Minuten von E.T. anwendete.

Um den Film zu bewerben, wird ein Alternate Reality Game entwickelt: The Beast, eine ausgeklügelte Welt der Exploration und Problemlösung, konstruiert aus versteckten Botschaften und Rätsel in Internet-Seiten, Anrufbeantworter-Nachrichten, E-Mail-Konten und Hinweisen im Trailer des Films. Das Spiel umfasst vierzig Websites, einschließlich der Website von Cybertronics Corp. Ähnliche virale Marketing-Strategien finden z.B. bei Ridley Scotts Prometheus (2012) Anwendung.

Rezeption

Der faszinierende Trailer und das minimalistische A.I.-Filmplakat (ein kleiner Junge schreitet aus einem metallenen A und bildet so das I) wecken bei einigen Erwartungen, dies sei ein weiterer E.T., ein unterhaltsamer Familienfilm mit positiver Grundstimmung. Ganz im Gegenteil porträtiert A.I. die Menschheit als kalt und herzlos. Sie verraten ihre künstlichen Kreationen und werden schließlich von ihnen überlebt.

Für viele Zuschauer und Kritiker ist diese deprimierende Botschaft des 146 Minuten langen Films ziemlich schwer zu verdauen und wird – von einigen – als radikale Abkehr von dem betrachtet, was sie mit Spielberg assoziieren. Gleichzeitig werfen einige von ihnen Spielberg vor, er hätte das ursprüngliche Konzept Kubricks „verkitscht“ – indem er z.B. ein „Happy End“ hinzugefügt hätte, das in Wahrheit ein sehr trauriges Ende ist und auf dem Original-Konzept von Kubrick beruht.

Bei den Academy Awards wird A.I. weitgehend ignoriert: Bei zwei Oscar-Nominierungen für die beste Musik und die besten visuellen Effekte geht der Film leer aus.

Spielberg über die zwiespältige Rezeption seines Films:

“People pretend to think they know Stanley Kubrick, and think they know me, when most of them don’t know either of us”. “And what’s really funny about that is, all the parts of A.I. that people assume were Stanley’s were mine. And all the parts of A.I. that people accuse me of sweetening and softening and sentimentalizing were all Stanley’s. The teddy bear was Stanley’s. The whole last 20 minutes of the movie was completely Stanley’s. The whole first 35, 40 minutes of the film – all the stuff in the house – was word for word, from Stanley’s screenplay. This was Stanley’s vision.” “Eighty percent of the critics got it all mixed up. But I could see why. Because, obviously, I’ve done a lot of movies where people have cried and have been sentimental. And I’ve been accused of sentimentalizing hard-core material. But in fact it was Stanley who did the sweetest parts of A.I., not me. I’m the guy who did the dark center of the movie, with the Flesh Fair and everything else. That’s why he wanted me to make the movie in the first place. He said, ‘This is much closer to your sensibilities than my own.’”

Trotz aller Kritik wird der Film überwiegend positiv bewertet und nimmt weltweit ca. 235 Millionen Dollar ein (bei einem Budget von ca. 100 Millionen Dollar).

In den Abspann fügt Spielberg die Worte: „For Stanley Kubrick“.

Filmemacher Billy Wilder nennt A.I. „the most underrated film of the past few years.

Eines Tages erhält A.I. vielleicht – ähnlich Kubricks 2001 – nachträglich die Anerkennung, die der Film verdient, oder er wird von SuperMechas als filmisches „Manifest“ ihrer Spezies entdeckt…

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Die Entstehung des Projekts und die Einflüsse von Spielberg bzw. Kubrick betrachten wir in unserem Buch Steven Spielberg – Tiefenscharfe Analysen.

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